Für den 13.-14. Oktober lud das Forschungslab „Geschichtskulturelle Eigenzeiten“ des Leibniz Forschungsverbundes „Wert der Vergangenheit“ zu einer Tagung im Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam ein. Unter dem Titel „Zeitschichten und Pluritemporalität in der Geschichts- und Erinnerungskultur“ referierten und diskutierten Forscher:innen über die Nützlichkeit sowie Anwendbarkeit Reinhart Kosellecks Zeitschichten-Metapher: als geschichtstheoretisches Denkmodell als auch anwendungsbezogen im Bereich des Museums, der Urban History und der  Public History. Generelles Ziel der von Achim Saupe organisierten Tagung war es, den Austausch über unterschiedliche Temporalitätsmodi an und in geschichts‐ und erinnerungskulturellen Stätten, in Museen und Stadträumen zu fördern. Wichtige Fragen betrafen dabei die Rolle, die Visualisierungen und Ästhetisierungen von Zeitschichten und multiplen Temporalitäten, nicht nur in der Geschichtskultur heute, sondern auch in früheren Epochen hatten. Damit stand zugleich zur Debatte, inwiefern sich Kosellecks Metapher mit seiner Vorstellung der Überlagerung, des Bruchs und des Auseinanderklaffens von Zeitschichten heute überhaupt noch eignet, Geschichte im öffentlichen Raum zu denken – oder ob diese nicht durch neue Konzepte wie „Chronoferenzen“, „Polychronien“ oder „Pluritemporalität“ abzulösen sei.

Den Auftakt der Tagung machten Ulrike Jureit, Achim Landwehr und Helmut Hühn. Sie verdeutlichten die theoretischen Implikationen und Schwierigkeiten einer analytischen Anwendung des Zeitschichten-Begriffs.  Während Jureit auf die begrenzte Ausarbeitung des Zeitschichtenbegriffs bei Koselleck aufmerksam machte, plädierten Landwehr und Hühn für vielzeitigere und dynamischere Zeitverständnisse im Zugriff auf Geschichte.

Dass aber Kosellecks Vorstellung der zeitlichen Überlappung in spezifischen räumlichen Anordnungen durchaus zu finden ist und diese für die museale Darstellung nützlich sein kann, zeigten Stefanie Jovanovic-Kruspel, Jutta Helbig und Joachim Baur. Letzterer machte darauf aufmerksam, dass im musealen Diskurs raumzeitliche Ordnungsmuster bisher meist in den Begriffen des Chronotopos (Bachtin) und der Heterotopie (Foucault) gefasst worden seien, neuere Ausstellungskonzeptionen gerade im Bereich der Archäologie oder der Zeitgeschichte aber durchaus mit dem Zeitschichten-Bild zu fassen seien.

Ähnliches gilt mit Blick auf die Untersuchung historischer Räume wie Städte und Landschaften, was das Leitthema des zweiten Tages ausmachte. Während sich Andreas Ludwig mit der Temporalisierung des städtischen Raums durch historische Museen beschäftigte (insb. dem Märkischen Museum in Berlin), warf Christoph Bernhardt einen kritischen Blick auf die Reichweite von Zeit-Raum-Metaphern, insbesondere die in der Stadtgeschichtsschreibung virulente Sedimente-Metapher, die er dem „Palimpsest“ gegenüberstellte. Und während Katja Stopka insbesondere am Beispiel des Malers Gerhard Altenbourg zeigte, wie sehr die Zeitschichtenmetapher zur Darstellung der von ihr so genannten „Erfahrungs-“, „Erwartungs-“ und „Erinnerungslandschaften“ in der DDR nützlich ist, implizierten die Stadtführungen in Warschau und Prag, die Sabine Stach vorstellte, offenere zeit-räumliche Referenzen, auch wenn gerade bei der Sichtbarmachung von Kriegszerstörungen die Metapher ein großes Veranschaulichungspotential habe. Das zeigte sich auch in dem vom ZZF produzierten Audiowalk „Echt authentisch?“, der den Mittag auflockerte. Geschichte im öffentlichen Raum betreffe weniger das „Übereinander“, sondern das „Nebeneinander“ von Zeitschichten, wie Achim Saupe deutlich machte. Dabei sei das Bild geologischer Verwerfungen und konkurrierender Zeitschichten durchaus nützlich, um städtische Konflikte im Umgang mit multiplen Vergangenheiten in den Blick zu nehmen.

Die Tagung machte insgesamt deutlich, dass es oftmals attraktiver ist, in geschichtskulturellen Zusammenhängen und im Anschluss an Achim Landwehr von „Praktiken des Chronoferierens“ zu sprechen. Die Zeitschichtenmetapher werde der Dynamik raum-zeitlicher Beschreibungen von Geschichte oft nicht gerecht. Geplant ist, den interdisziplinären Dialog weiter zu öffnen und Beispiele u.a. aus dem Gedenkstättenbereich, der Denkmalpflege und der Historischen Geologie einzubeziehen.

Verfasst von: Achim Saupe und Leon Waldmann